, 21. November 2016
China schränkt die Bewegungsfreiheit der Tibeter im Vorfeld der Belehrungen des Dalai Lama in Indien heftig ein
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Letzte Woche nahm die nepalesische Polizei 41 tibetische Pilger an der
Grenze von Nepal zu Indien fest, weil sie ohne gültige Dokumente
unterwegs waren. Die Tibeter, die an der Kalachakra-Zeremonie in Indien
teilnehmen wollten, wurden an dem zehn km von der Grenze entfernten Ort
Dhangadhi festgenommen. Nach drei Tagen Festsetzung durch die
Einwanderungsbehörde wurden sie dann freigelassen. 39 waren mit
chinesischen Pässen versehen aus Tibet angereist, während zwei in Indien
ansässige Flüchtlinge sind.
Die Festnahme tibetischer Pilger durch nepalesische Behörden ist der
jüngste Vorfall einer ganzen Reihe von Schikanen, von denen Tibeter in
Tibet berichten, die daran gehindert wurden, zu den
Kalachakra-Belehrungen nach Indien zu reisen. Der Dalai Lama wird vom 3.
bis zum 14. Januar diese Zeremonie an dem buddhistischen Pilgerort Bodh
Gaya im indischen Bundesstaat Bihar leiten.
Die Menschenrechtsorganisation HURON mit Sitz in Kathmandu informierte
das TCHRD am 17. November darüber, daß die Polizei von Dhangadhi am 16.
November 41 Tibeter zwei Stunden lang festgehalten hat und sie dann der
Immigrationsabteilung des Kailali Distrikts im Südwesten Nepals
überstellte. Diese wiederum schickte die Tibeter zur Immigrationsbehörde
nach Kathmandu weiter. HURON brachte in Erfahrung, daß die 39 Tibeter
mit chinesischen Pässen nach Nepal gereist waren, aber aus Angst vor den
seitens der Chinesen zu erwartenden Repressalien kein Visum für ihre
Weiterfahrt nach Indien beantragten wollten. Um HURON zu zitieren: „Wenn
die chinesischen Behörden die indischen Visa in ihren Pässen sehen
würden, könnten sie nach ihrer Rückkehr nach Tibet für sechs Monate bis
zu fünf Jahren ins Gefängnis wandern.“
Obwohl HURON darum bat, die tibetischen Pilger zu entlassen, wurden am
Abend des 15. November 24 tibetische Männer in das Dilibazar Sadakhor
Haftzentrum eingeliefert, während 17 Tibeterinnen in der Verwahrung der
Immigrationsbehörde blieben. Nachdem dann Mitarbeiter der chinesischen
Botschaft gerufen wurden, um die Pässe der 39 Pilger zu überprüfen,
wurden sie freigelassen. Auch die zwei Tibeter mit indischen
Registrierungszertifikaten wurden nach Überprüfung ihrer Dokumente durch
Angehörige der indischen Botschaft am folgenden Tag freigelassen.
Seit etwa einem Jahrzehnt übt China extremen Druck auf die nepalesische
Regierung aus, strenger mit den aus Tibet fliehenden Tibetern oder den
bereits in Nepal ansässigen umzugehen. Die chinesische Regierung gibt
viel Geld aus, um die Grenze zwischen Tibet und Nepal so aufzurüsten,
daß keine Tibeter mehr nach Nepal durchkommen. Ihr Ziel war es, von dort
aus nach Indien weiterzureisen, um da eine bessere Schulbildung zu
erhalten, es war zu Zwecken der Pilgerschaft oder um den Segen des Dalai
Lama zu empfangen.
2012 wurden Hunderte von Tibetern, die sich nach Indien begeben hatten,
um an den Kalachakra Belehrungen teilzunehmen, bei ihrer Rückkehr von
chinesischen Behörden festgenommen und verhört. Wochen- oder gar
monatelang wurden Leute aller Altersgruppen, darunter sogar
Achtzigjährige, gezwungen, Kurse für patriotische Umerziehung zu
besuchen, weil „ihr Geist durch den Besuch der Kalachakra-Unterweisungen
korrumpiert“ worden sei.
Einige Monate später, im April 2012, gab die Regierung der TAR neue
Richtlinien für die Ausstellung von Reisepässen heraus, die es Tibetern
sehr erschwerten, an einen Paß zu kommen, ohne den sie nicht ins Ausland
reisen können.
Jetzt, wo das Datum des Kalachakra immer näher rückt, haben die
chinesischen Behörden angefangen, Tibeter mit gültigen Pässen immer mehr
zu schikanieren, um ihnen die Möglichkeit zu nehmen, nach Indien zu
reisen. Personen, die bereits eine Reise gebucht haben, werden
gezwungen, sie zu stornieren. Eine beachtliche Zahl von tibetischen
Pilgern, die bereits vor einigen Wochen in Indien ankamen, wurden
gebeten, bis zum 20. Dezember zurückzukehren.
In einigen Gegenden haben Verwaltungsbeamte alle gültigen Pässe von
Tibetern, die ins Ausland reisen wollten, eingezogen. So sagte ein
Tibeter in Machu, der gewarnt wurde, daß er, falls er seinen Paß nicht
zurückgebe, auf die schwarze Liste käme: „Ich hatte einen auf fünf Jahre
gültigen Paß und wollte diesen Winter verreisen. Doch die Beamten von
der Gemeinde und der Dorfchef forderten, daß ich ihn unverzüglich
abgebe. Wenn ich das nicht täte, müßte ich mit Repressalien rechnen und
würde in Zukunft von allen staatlichen Vergünstigungen ausgeschlossen“.
Auch einige Tibeter im Bezirk Ngaba wurden aufgefordert, ihre Pässe
abzuliefern, andernfalls dürften sie ihr Leben lang nicht mehr ins
Ausland reisen.
Das TCHRD ist über die schwere Beeinträchtigung des Rechtes der Tibeter
auf Freizügigkeit entsetzt. Dieses Recht ist im Art. 13 der Allgemeinen
Erklärung der Menschenrechte garantiert: „Jeder hat das Recht, sich
innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei
zu wählen.“ Und: „Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines
eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.“ Der Art. 12(2)
des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte
(ICCPR), der als zum internationalen Gewohnheitsrecht gehörend auch für
China bindend ist, anerkennt ebenfalls, daß jeder das Recht auf
Bewegungsfreiheit hat, einschließlich des Rechtes, sein Land zu
verlassen.
In seiner maßgeblichen Auslegung dieses Rechtes stellt der Allgemeine
Kommentar des Human Rights Committee Art. 27 fest, daß internationale
Reisen nicht auf Grund ihres Zweckes oder der Dauer der Reise
eingeschränkt werden dürfen. Das Recht auf Bewegungsfreiheit darf nur
unter außergewöhnlichen Umständen eingeschränkt werden, wenn diese
Einschränkung zum Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen
Ordnung, der Volksgesundheit oder der guten Sitten und den Rechten und
der Freiheit anderer notwendig ist. Die von den chinesischen Behörden
den Tibetern auferlegten Einschränkungen sind unberechtigt und nicht
rechtfertigbar und deshalb willkürlich und widersprechen dem
Gleichheitsgrundsatz.
Das TCHRD befürchtet, daß die 39 Tibeter, deren Identitäten den
chinesischen Behörden durch ihre Botschaft in Nepal bekannt sind, nach
ihrer Rückkehr nach Tibet höchstwahrscheinlich bestraft werden. Die
Möglichkeit einer bis zu einem halben Jahr dauernden Inhaftierung ist
besonders beunruhigend. Schließlich sahen sich diese Tibeter ja
gezwungen, ohne Paß nach Indien zu reisen, weil China ihnen mit
Bestrafung drohte, falls sie nach Indien reisten. Dies zeigt das Ausmaß,
in dem das Recht der Tibeter auf Bewegungsfreiheit auch außerhalb der
Grenzen der VR China bedroht ist. Die Verletzung des Rechts auf
Bewegungsfreiheit verletzt ihrerseits eine ganze Reihe anderer Rechte,
besonders das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit,
denn in diesem Fall werden zahllose Tibeter daran gehindert, das
Kalachakra zu besuchen, eine der wichtigsten religiösen Zeremonien für
tibetische Buddhisten.
Das TCHRD ruft die chinesischen Behörden auf, keine Vergeltung an
tibetischen Pilgern zu üben, besonders die 39 oben genannten Personen
von Repressalien zu verschonen.
Übersetzung: Adelheid Dönges, Revision: Angelika Oppenheimer
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